Reportage. Fliegen, wenn alles am Boden bleibt – wie soll das gehen? Ich habe zwei Flugbegleiterinnen gefragt – und bin am 15. Juni, dem ersten Tag nach einem monatelangen „Totalausfall“ der Flugbranche, selbst ins Flugzeug gestiegen.
Am 15. Juni, einem Montagmorgen, orientiere ich mich auf der Bahnsteigsuche in Wien-Mitte nach der standesgemäß gekleideten AUA-Mitarbeiterin. Der erste Zug zum Flughafen ist schon vergleichsweise gut besetzt. Am Flughafen angekommen folge ich den Piloten und Stewardessen. Es ist noch dunkel und recht leer in der Ankunftshalle. Keine große Aufregung. Auch keine Temperatur- oder sonstige Kontrollen. Noch keine Desinfektionsmittelspender oder Hinweistafeln. Beim Check-in ist dann schon mehr los: Businessmänner, Einzelpersonen, jung, alt, Mutter mit Kind, Backpacker-Pärchen stehen in der Warteschlange. Von allem ein bisschen was, wie sonst auch. Nur eben von allem ein bisschen weniger. Die Mitarbeiter sind freundlich und geduldig. Passagiere wundern sich wohl eher über die wenigen Maßnahmen als über die vielen. Außerdem erblicke ich ein Kamerateam und zusammenstehende Polizisten. Bei der Sicherheitskontrolle geht alles sehr schnell und unkompliziert. Personal steht in ausreichender Besetzung bereit, es kommt zu keinerlei Distanz-Problemen – auch, weil es bei mir nicht piepst.
Der Duty-Free ist geschlossen. Wie die meisten anderen Geschäfte auch. Das eine, das offen hat, wird mit einer Warteschlange belohnt. Frühstückshunger anscheinend. Am Eingang zum Gate F erwartet mich eine Flaggenparade der Austrian-Crew: circa 50 Mitarbeiter stehen für jeden Passagier Spalier, rufen fröhlich “Guten Morgen” und winken mit kleinen Austrian-Flaggen. Ein bisschen unangenehm ist dieser Spaziergang zum Gate dann doch. Meine Gesichtsfarbe gleicht sich den Austrian Farben an – rot-weiß-rot. Schließlich reflektiere ich über die vergangenen Monate. Wie war die Zeit wohl für die Mitarbeiter, deren „Office“ der Flughafen ist und die keine Möglichkeit haben, von zuhause aus zu arbeiten?
Mit Maria M. (Name geändert) treffe ich mich an einem schönen Sommertag an einem österreichischen See. Wir sitzen auf einer Bank mit Blick auf das Wasser und sie erzählt mir von ihren Erinnerungen an die Zeit kurz bevor ganz Österreich in Heimquarantäne geschickt wurde. Ihr letzter Flug vor dem Lockdown ging sogar nach Italien. „Aber da wusste ich noch gar nicht, dass es mein vorläufig letzter sein wird. Das war im Februar, wir haben zwar schon alle eine Maske getragen, aber da wurde das eher noch belächelt. Das erste Mal, dass ich mitbekommen habe, da ist wirklich was los, war, als es eine Durchsage an Bord gegeben hat, dass am Flughafen in Mailand Fieber gemessen wird. Da habe ich gemerkt, okay, es ändert sich auch etwas für die Passagiere. Um meine eigene Gesundheit habe ich mir eigentlich nie Gedanken gemacht, bei uns wurde aber auch nie Fieber gemessen.“
Nina N. (Name geändert) erinnert sich an die letzten Tage vor dem Flugstopp. „Vor dem Flugstopp bin ich wirklich noch jeden Tag geflogen, da habe ich noch gar nicht gemerkt, dass Leute nach Hause wollen – es war eher so, dass Leute noch in den Urlaub geflogen sind. Das fand ich seltsam, weil damals der Corona-Virus schon sehr präsent war. Auf meinem letzten Flug hatten wir auch einen Corona-Verdachtsfall an Bord, das war dann eine ungute Stimmung in der Crew und bei den Passagieren, weil wir natürlich überhaupt nicht wussten, was jetzt mit uns passiert. Wir mussten lange mit einem vollen Flieger am Rollfeld warten, bis das Ärzteteam kam. Das war doch ein unbehagliches Gefühl. Erst da war ich dann wirklich um meine Gesundheit besorgt. Ich hätte nach dem Flug noch meine Familie gesehen, und da habe ich dann auch beschlossen, meine Familie nicht zu treffen. Das war mein letzter Flug und da habe ich dann auch schon erfahren, dass es danach keine Flüge mehr geben wird.“
2019 war für den Flughafen Wien noch ein Rekordjahr. Rund 31,66 Millionen Passagiere zählte man (Quelle: Statista). Mitte März dann die Hiobsbotschaft. Der KURIER titelt am 16. März: „AUA und Laudamotion stellen Flugbetrieb ein, nur noch Rückholflüge“. „Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man weiß, dass es gar keine Flüge gibt – dass hat es ja noch nie zuvor so gegeben“, sagt Maria M. Wir sehen während dem Gespräch Kondensstreifen am Himmel: „Wenn ich damals so wie jetzt ein Flugzeug am Himmel gesehen habe, war es schon ein echtes Highlight.“
Ich will von Maria und Nina wissen, wie sie die Zeit zuhause verbracht haben. Was macht man eigentlich als Flugbegleiterin, wenn man auf ungewisse Zeit in Kurzarbeit ist, und einen Großteil des Tages nicht mehr in Flugzeugen verbringt? „Ein paar Tage vor dem totalen Flugstopp habe ich mich noch im Fitnesscenter angemeldet, weil ich nicht dachte, dass das noch so ausartet“, sagt M. Für sie hatte der Lockdown aber auch positive Seiten: „Es ist schon mal schön, regelmäßig aufzustehen. Ich habe mir eine Zeit lang schon den Wecker gestellt, um nicht in den Tag reinzuschlafen.“ Nina stimmt zu, auch sie hat die flugfreie Zeit genossen. „Mir hat das alles richtig gut getan, ich habe nämlich sofort einen Rythmus gehabt, den ich sonst nicht hatte. Ich hatte meine fixen Zeiten, zu denen ich schlafen gegangen bin und aufgestanden bin. Ich habe auch lang aufgeschobene Pläne aufgenommen und erledigt. Es war eigentlich eine ganz interessante Zeit und es hat sich bei mir schon viel getan.“
Die Kurzarbeit war bei vielen, branchenunabhängig, auch von vielen von Unsicherheit und Ängsten geprägt. Wie gingen die beiden damit um, nicht zu wissen, wie lange sie noch „am Boden bleiben“? Von Maria M. erfahre ich, dass viele in der Kollegschaft verunsichert waren – „vor allem jene, die schon jahrelang, jahrzehntelang als Flugbegleiter arbeiten. Wenn man kein zweites Standbein hat, fragt man sich schon, okay, was macht man jetzt – vor allem wenn man auch schon in einem Alter ist, wo man nicht mehr so leicht etwas anderes findet.“ Auch N. hat sich viel mit Kollegen ausgetauscht, allerdings nur am Anfang des Lockdowns. Irgendwann sei es ihr zu viel geworden. „Natürlich ist eine allgemeine Verunsicherung da, jeder macht sich Sorgen.“ Ihr Credo sei aber gewesen, dass sie an der Situation nichts ändern könne, und es ihrer Meinung nach nicht sinnvoll war, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. „Nur noch darüber zu reden und sich gegenseitig nervös zu machen, wollte ich nicht. Aber ich wusste auch, falls ich gekündigt werde, wird es schwierig, einen neuen Job zu finden.“
Laufend gab es Negativmeldungen in den Medien: Gehaltskürzungen bei Laudamotion, Stellenabbau bei der Lufthansa, LEVEL Insolvenz. Ich frage M., ob sie das getroffen hat. „Wenn man sich da hinversetzt, ist es natürlich arg, so von einem Tag auf den anderen gekündigt zu werden, das ist schon heftig. Ich habe mir aber nicht so Sorgen gemacht, da wir durch die Kurzarbeit vor Kündigung geschützt waren. Es wurde auch kommuniziert, dass nicht geplant sei, dass jemand vom Flugpersonal gekündigt wird.“
Die Gewerkschaft vida hat bei den Gehaltsverhandlungen zum neuen Kollektivvertrag der Flugbegleiter bei Laudamotion ordentlich Druck gemacht – es ging um 300 Jobs. Die Gewerkschaft verwies darauf, dass das Einstiegsgehalt dann deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen würde. Hätten sie einer Gehaltskürzung, egal wie hoch, in ihrer jetzigen Situation zugestimmt, um ihren Job zu behalten? „Ja, ich glaub ich hätte zugestimmt. Ansonsten hätte ich ja gar nichts. Da nehm ich lieber weniger vom Gehalt, bevor ich meinen Job verliere“, sagt Maria. Nina ist da anderer Meinung. Sie würde nicht jeder Gehaltskürzung zustimmen. „Ich finde das ein wichtiges Thema und finde, dass wenn der Lohn so runtergeschraubt wird, das ist schrecklich, das gehört verboten.“
Irgendwann wurde dann der 15. Juni als Datum auserkoren, wo die Flieger wieder abheben dürften. Viel früher hat es M. auch nicht erfahren. Es war einfach ein „schauen wir mal, was passiert“, sagt sie. An diesem Tag steige auch ich zum ersten Mal wieder seit langem in ein Flugzeug, meine Einstellung gleicht der von Maria. Die Flüge scheinen gut ausgelastet zu sein. Das Rollband rollt noch nicht. München, der erste Flug des Tages, wirkt ausgebucht. Gleiches Bild bei Paris Charles de Gaulle. Die Damen vom Bodenpersonal wirken aufgeregt. Es herrscht gespannte Stille, daher höre ich sie tratschen: “Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen, immer wieder aufgewacht, Angst gehabt, zu verschlafen. Weißt eh, jetzt wo doch alles wieder normal wird.”
Telefonate, aber noch immer von erhöhter “Alarmbereitschaft” keine Spur. Eine Frau hat es schon sehr eilig und stellt sich zehn Minuten zu früh vor die Schalter. Als das Boarding aufgerufen wird, ist es schnell vorbei mit der Distanz, der allgemeine Wettstreit um das Boardkarte-Scannen geht los. Es wird gedrängelt, sich gewundert, aber nicht zurechtgewiesen. Im Flugzeug dann etwas Stau, vor Betreten wird einem ein Desinfektionstuch ausgehändigt. Häufig benutzt wird es von den Passagieren allerdings nicht. Neu sind auch die Hygienehinweise und Ansagen von der Crew. Altbekannte klassische Musik ertönt. Menschen kann man Vorfreude oder Begeisterung im Gesicht nicht ansehen. Wenn, dann tatsächlich noch eher der Crew und dem Pilotenteam bei den Durchsagen. Der Flug startet pünktlich. Die Mittelreihen bleiben frei, alles läuft sehr unkompliziert und ruhig ab.
Vor meiner Ankunft in Paris werden Zettel ausgeteilt, auf denen man seine Daten angeben soll, um im Fall des Falles von den Gesundheitsbehörden kontaktiert werden zu können. Es gibt zu wenig Kugelschreiber – die werden dann – wenig Corona-freundlich – von Person zu Person weitergereicht. Bei der Ankunft in Paris gibt es keinerlei Kontrollen, keinerlei Fragen. Da heißt es nur noch: Bonjour.
Wir reden auch noch darüber, wie der erste Flug nach monatelanger Pause für sie war. Maria erzählt mir, dass sie sich nicht hundertprozentig wohl gefühlt hat an Bord, weil der Abstand gar nicht eingehalten werden kann. „Mit den Masken hat eigentlich alles gut funktioniert, die haben alle eine aufgehabt. Es war wirklich schön, mal wieder zu fliegen, ich habe es sehr vermisst.“ Und ist etwas anders, als vor dem Flugstopp, frage ich Nina. „Natürlich tragen alle Masken an Bord, was schon sehr anstrengend ist. Ich merke, dass die Passagiere viel verständnisvoller sind, auch viel mehr Respekt davor haben, dass wir jetzt gerade arbeiten in dieser Zeit. Ansonsten ist es aber wie vorher, was ich extrem schön finde.“
Ob sie jemals über Job-Alternativen nachgedacht haben? „Nein“, sagt M. „Ich habe daneben auch noch Pläne. Bei mir war nicht so die Angst, dass ich gar nichts habe, sollte ich gekündigt werden, weil ich gewusst habe, dass ich noch andere Möglichkeiten habe.“ Für Nina N. war es eine ähnliche Situation. „Ich bin außerdem alleine, habe niemanden den ich versorgen muss, und hatte daher auch kein Problem mit dem Kurzarbeit-Gehalt. Ich wusste, ich könnte einige Zeit mit dem Geld, dass ich angespart habe, auskommen. Da gibt es andere Leute, die hatten viel größere Sorgen als ich.“
Könnte sie nochmal wählen, würde sie jetzt eine Berufsrichtung einschlagen, die krisensicherer ist? „Ja, ich glaube schon, da würde ich jetzt schon drauf achten – weil man sich die Gedanken halt auch erst macht, wenn man einen Job hat, wo es eben nicht so ist. Daran hätte ich zuvor eben auch nie gedacht, ich habe noch nie eine Krise miterlebt. Ältere Kollegen berichteten schon, dass sie mehrere Krisen miterlebt haben – aber keine war so schlimm wie jetzt“, sagt Maria. Nina hat realisiert, dass sie nicht auf das Fliegen angewiesen ist, erzählt sie mir. Durch den Virus sei es in der Flugbranche aber natürlich total unsicher, meint sie. Trotzdem würde sie nicht speziell darauf achten, einen krisensicheren Karriereweg einzuschlagen. „Ich sehe meiner beruflichen Zukunft positiv entgegen und mache mir da nicht so große Sorgen. Wir sind ja trotzdem nochmal gut weggekommen. Das Tolle an meinem Beruf ist, dass wir viel durch die Welt fliegen und ich schätze das – mit allen Risiken und Gefahren.“